Seemann, lass das träumen
Ein Schlagerabend wäre normalerweise nicht Freds Ding gewesen. Aber erstens mochte er den Schriftsteller, Rainer Moritz, der das Ganze inszeniert und zweitens fiel ihm keine gute Entschuldigung ein, als der Veranstalter ihn zu der Sause einlud.
Nun ist Fred also hier. Er sitzt im Halbdunkel des Veranstaltungsorts – einer Mühle in Wolfenbüttel – umgeben von Senioren, die so aufgeregt wirken, als würden ihre Stars gleich persönlich ans Mikrofon treten und singen.
Fred ist kein Fan von irgendwem.
Aber Rainer Moritz ist gnädig, er beginnt mit Stücken aus einer Zeit, in der man noch wert legte auf Melodie, auch beim Schlager. Und dann spielt er ein Stück, das Fred gehört hat, damals als Junge, in der Segelschule in Bayern. „Seemann Deine Heimat ist das Meer“ von Lolita.
Und sofort sieht er sie wieder vor sich: Sabine mit den kurzen dunklen Haaren und dem frechen schrägen Pony, der ihr immer in die bernsteinfarbenen Augen fiel. Das Mädchen, das mit ihm die Abschlussregatta verlor.
Sie waren in diesen Sturm geraten, mitten auf dem See und gekentert. Aber nach langem Ringen, hatten sie den Zugvogel wieder aufrichten können und waren den Rest der Fahrt mit dem Lenzen des Wassers beschäftigt gewesen. Dabei hatten sie sich immer wieder angesehen und waren aus dem Lachen nicht herausgekommen. Sie waren völlig durchnässt, die Haare klebten kreuz und quer auf ihren Gesichtern und die Klamotten an ihren Körpern.
Und obwohl sie die Letzten waren, hatten sie bei der anschließenden Siegerehrung. eine riesige Schachtel Pralinen geschenkt bekommen. Die Ersten und die Letzten waren geehrt worden.
Später am Abend, als Lolitas Stimme aus dem Kassettendeck erklang, hatte Fred Sabine zum Blues aufgefordert.
Sabines Herz hatte im Takt des Refrains gegen Freds Brust geklopft.
Danach hatten sie sich wieder losgelassen und jeder in eine andere Richtung geguckt.
Nach der Party hatten sie noch ein wenig vor der Segelschule gestanden. Sabine war von einem Fuß auf den anderen getreten und hatte sich verlegen ihr Pony aus der Stirn geschoben.
Sie hatten sich vorgenommen im nächsten Jahr die Regatta zu gewinnen und gelacht.
Zum Abschied hatte Fred Sabine einen scheuen Teenager-Kuss auf ihre warmen Lippen gegeben.
Sie hatten sich noch eine Weile Briefe geschrieben. Er hat Sabine nie wiedergesehen.
Aber jetzt an diesem Schlagerabend, denkt Fred an sie und eine warme Welle durchflutet sein Herz.