Tierische Mikroabenteuer
Tierische Mikroabenteuer erlebe ich in jüngster Zeit mitten in der Stadt und sogar im Wohnzimmer meiner Eltern. Die Menschheit schafft sich und andere Lebewesen derzeit im Affenzahn ab, doch auch in der Tierwelt geht es bekanntlich nicht zimperlich zu. Fressen und gefressen werden ist hier an der Tagesordnung. Aber auch so viel Schönheit!
Tee trinkend, angeregt plaudernd und vor allem – nichts ahnend – saß ich kürzlich mit meiner Mutter im Wohnzimmer meiner Eltern. Den Blick nach draußen gerichtet auf das Vogelhäuschen, das an diesem Nachmittag im März sonnig beschienen und stark frequentiert war. Mein Vater hatte es im Dezember aufgebaut, um den heimischen Gartenvögeln über den Winter zu helfen.
Sekunden später war der Spuk vorbei
Gerade pickte ein prächtiges Amselhähnchen sich mit seinem zitronengelben Schnabel durch einen kernigen Nachmittagssnack, da schoss es hellgrau-geringelt aus dem Himmel, fuhr die Krallen aus, packte damit die Amsel, die noch einmal laut und verzweifelt auftwixte und Sekunden später war der Spuk vorbei. Weg war das Weihenweibchen – denn es war eines – die Amsel in ihren Fängen. Und obwohl es gerade in der Menschenwelt um vieles grausamer zugeht, lässt mich dieses Bild nicht mehr los.
Radtour nach Apeldoorn
Bekanntermaßen ist mein liebstes Fortbewegungsmittel das Fahrrad. Mit dem Regionalzug ging es kürzlich von Düsseldorf nach Arnheim. Aus dem Bahnhof hinaus, schwangen wir uns auf die Sättel, strampelten links die Straße hoch und dann immer der LF4 nach, Richtung Apeldoorn. Die meiste Zeit radelten wir durch die Hoge Veluwe mit ihren dichten, alten Laubwäldern und weiten Heidelandschaften, die streckenweise an die afrikanische Savanne erinnern. Wunderbar, aber dazu ein andermal mehr. Denn, natürlich gab es auch hier ein tierisches Mikroabenteuer. Am Folgetag entspannten wir, vor der Abfahrt zurück Richtung Arnheim, im Garten des sehr empfehlenswerten Café des Schlosses Het Loo, dessen Gärten nach der Renovierung gerade wieder öffnen.
Wir bestellten Cappuccino, der, kaum bestellt, auch schon von der reizenden Kellnerin auf unserem Tischchen abgestellt wurde. Da entdeckte ich obigen sehr schönen Pfau, der sich unter die in schicken Gartenstühlen chillenden Ausflügler:innen mischte. Und der Pfau entdeckte mich. So zumindest wollte es mir scheinen, denn er steuerte auf mich zu.
Erst schritt er, dann eilte er, nein, er schoss regelrecht auf mich zu und im selben Moment, in dem ich mit dem Handy zum Gegenschuss ansetzte, schnappte der elegante Riesenvogel sich ratzfatz meinen zarten Schokoladenheidesand, der dekorativ auf der Untertasse meines Cappuccinos auf mich gewartet hatte und trug ihn rasch im Schnabel davon.
Wer jetzt meint, ich hätte daraus gelernt, irrt. So verzückt war ich vom prächtigen Federkleid des Pfaus, dass ich diesen Fehler ein zweites Mal beging. Woraufhin mir die wirklich reizende Kellnerin zwei Schokokekse nachlieferte. Ich habe den feinen Geschmack noch immer auf der Zunge.
Szenenwechsel: Tierisches Mikroabenteuer über den Dächern Londons
Wieder in London ist auch das Wanderfalkenpaar des vorigen Jahres zurückgekehrt in die breite, gut geschützte Nische oben über dem Hochhaustreppenhaus. Das Nest ist gebaut. Die jungen Eltern machen sich mehrmals am Tag auf die Jagd nach Vögeln aller Größen und Farben, die schlaff und leblos zwischen den Fängen zum Nistplatz transportiert werden. Gierig picken sie immer wieder hinein in den Schmaus, den Kopf und Oberkörper gebeugt.
Der Fuchs streicht um die Häuser
In der Dämmerung streicht dann noch der Fuchs um die Häuser. Das kann ich von oben aus dem vierten Stock ganz gut sehen. Er trabt elegant zwischen den Häuserreihen hindurch, die von oben wirken wie Puppenhäuser. Der Fuchs schiebt die schmale Schnauze schnüffelnd über die Rasenfläche, auf der sich tagsüber Katzen, Hunde, Krähen, Möwen und viel zu viele Tauben tummeln.
Mein Herz klopft froh
Am nächsten Abend – wir kommen aus dem Kino (sehr, sehr empfehlenswert: The worst Person in the world!) tummelt sich ein prächtiges Fuchspaar in London Fields. Das Weibchen zum Greifen nahe am Zaun, doch als ich adrenalintrunken mein Handy zücke, trollt es sich doch argwöhnisch ein paar Meter weiter, beginnt sich die Flöhe oder sonstiges blutsaugendes Getier aus dem prächtigen rotbraunen Fell zu kratzen. Und ich halte drauf. Möchte diesen Moment unbedingt festhalten. Das Tier in mir verbindet sich mit dem anderen, noch wilden Tier. Und mein Herz klopft froh.
Szenenwechsel: Mikroabenteuer in der Lunigiana
Szenenwechsel – zu Besuch in der Lunigiana: Auf der Straße überall Kröten – sie wechseln die Seite, auf dem Weg zum Laichen. Da heißt es Slalom fahren. Doch das tut natürlich nicht jeder. Und nicht alle Kröten schaffen es auf die andere Seite.
Am nächsten Tag – ein Ausflug über Land zu einem abgelegenen Agriturismo. Wieder ein Wildwechsel von rechts nach links. Zwei aufgeregte, hübsch gestreifte Frischlinge, mit perfekt gezogenen Streifen auf ihren Babyrücken, wieseln mit aufgerichteten Ringelschwänzchen über den durchlöcherten Asphalt. Meine Nichte P. dreht schnell einen Mini-Film über die Mini-Schweine – wieder ein Mikroabenteuer. Kein Löwe würde mein Herz noch schneller schlagen lassen.
Nachts in all der großen Stille im Schatten des Apennin singt sich die Nachtigall die große Seele aus dem kleinen Leib – melodisch und klangvoll, wie sonst nur die Amsel, der sie es einst abgehorcht hat. Es ist eine Pracht. Und so friedlich. Sooo friedlich, dass mein Herz alles andere rund um uns her für die Augenblicke vor dem Schlafengehen vergisst und sein Takt sich aller herrschenden Hektik und Panik zum Trotz im Schlaflied-Tempo einklopft.