Das Gewitter war noch nicht da!
Das Gewitter war noch nicht da, ist in meiner Familie ein geflügeltes Wort. Als kleines Mädchen verbrachte ich ganze Sommer bei meiner Großmutter im Allgäu. Während eines besonders schwülen Juli (oder war es August?), spielten sich vor der ohnehin schon spektakulären Bergkulisse rund um Ludwigs Schlösser dramatische Szenen ab. Allabendlich zog ein Gewitter auf und entlud sich in donnernden Paukenschlägen und mäandernden Blitzbündeln, die das imposante Panorama taghell aufleuchten ließen.
Ich verfolgte dieses beeindruckende Naturschauspiel mit wohligem Grusel und gebührendem Respekt aus sicherer Entfernung durch das breite Wohnzimmerfenster.
So regelmäßig kam das Gewitter zur Abendunterhaltung vorbei, dass ich eines Tages, als meine Großmutter mich ins Bett bringen wollte, sagte: „Ich kann noch nicht ins Bett gehen, das Gewitter war noch nicht da.“
Das erzählte meine Oma dann lachend meinen Eltern.
Meine Mutter erinnerte mich
Vergangene Woche, als die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit stetig stiegen, ohne sich zu entladen, wusste ich kreislaufmäßig irgendwann kaum noch, wohin mit mir.
Meine Mutter erinnerte mich daran, wie häufig in den Siebzigern Sommergewitter waren und wiederholte mein Sprüchlein aus jenem weit zurückliegenden Allgäuer Sommer. „Ich kann noch nicht ins Bett gehen, das Gewitter war noch nicht da.“
Wir lachten.
Sehnten uns aber gleichzeitig nach Abkühlung und Regen, vor allem auch für die Natur, nach all der Trockenheit.
Und wurden alsbald erhört.
In der Woche, die heute zu Ende geht, gab es jeden Abend ein Gewitter.
So wie früher.
Alle Verabredungen dieser Woche hatten ein Gewitter im Nacken.
Angefangen mit dem lauschigen sommerlichen Abendessen, das ich mit drei Kolleginnen auf der Terrasse der einen verlebte.
Wieder drückte die Nachmittagsschwüle den Kreislauf in den Keller.
Und kaum hatten wir unseren Salat verspeist, schlugen auch schon die ersten Regentropfen auf den Sonnenschirm ein.
Dessert und Regentanz verlegten wir dann lieber nach drinnen. Das war Dienstag Abend.
Treffen mit der geliebten Freundin
Donnerstag Abend traf ich meine geliebte Freundin Uli im wirklich bezaubernden Chez Claude.
Finstere Wolken dräuten über mir, als ich mich auf den Sattel schwang und Richtung linke Rheinseite radelte. Mein Bauchgefühl schlug Alarm, da man bei Chez Claude nur draußen sitzen kann und sie bei Gewitter gar nicht erst öffnen, es in der Nachbarschaft aber auch keine Alternativen gibt. Außer vielleicht Penny... (Kleiner Scherz).
Uli und ich hatten uns seit Wochen nicht gesehen und viel zu erzählen.
Das Wasser tranken wir noch neben schmetterlingsumtanztem Sommerflieder und Gräsern unter freiem Himmel.
Doch von jetzt auf gleich schwoll der Donner an. Die finsteren Wolken, die ich abgehängt zu haben glaubte, standen plötzlich über uns und es begann in dicken Tropfen zu regnen.
Die alkoholischen Getränke durften wir dann vorübergehend an einem eigentlich reservierten Platz unterm Plastikdach genießen.
Den anderen Gästen schnitt das Gewitter vorübergehend den Weg ab.
So blieben wir bis auf Weiteres unter uns. Und dass, obwohl der Laden an diesem Abend, wie meist, ausgebucht war.
Während die Blitze zuckten, der Donner grollte, der Regen peitschte und die Kellner und Kellnerinnen mit Hin- und Herräumen beschäftigt waren, lief mir ängstliche Gänsehaut den Rücken herunter.
Wir saßen im Freien und doch geschützt – durch ein zugegeben nicht sehr stabiles Dach und die Höhe der umherliegenden Fabrikhallen des Gewerbegebiets. Wenn ich trotzdem zusammenzuckte, sobald ein Blitzbündel niederfuhr, drückte Uli meine Hand und versicherte mir: „Hier kann nichts passieren, Schätzchen.“
Ich verspürte jedoch den gleichen gemütlichen Grusel wie damals im Allgäu.
Nun allerdings nicht hinter einem sicheren Wohnzimmerfenster.
Bis das Wetter sich beruhigte, wir Essen bestellen konnten und uns ein Korb mit warmem Brot erreichte, waren wir längst beschwipst und in allerbester Ferienstimmung.
(Ich erinnere mich nicht, jemals eine so gigantisch leckere Artischocke gegessen zu haben.)
An diesem Abend stimmte einfach alles:
Meine Begleitung, die Umgebung, die Menschen und das Mahl.
Von diesem Gesamtkunstwerk zehre ich noch immer.
Und nach dem Gewitter ging ich brav ins Bett.
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