Mimosen-Blog

Jahresrückblick mit gemischten Gefühlen

Ich bin sicherlich nicht die Einzige, die froh ist, dass 2020 in wenigen Stunden Geschichte ist. In Australien ist es das längst.
Vieles, was wir vorher auch schon wussten oder zumindest ahnten, hat sich uns 2020 wie unterm Brennglas präsentiert. Zuallererst mal, dass unser Höher-Schneller-Weiter keine Option mehr ist. Umdenken ist angesagt.

Während des ersten Lockdowns war die Luft selbst mitten in meiner Stadt frisch. Sie roch nicht mehr nach Autoabgasen, es fuhren ja kaum noch Autos. Viele Menschen arbeiteten von zu Hause. Die Mütter in ihren Chelseatrucks mussten ihre Kinder nicht mehr in die Schule fahren oder abholen. Die Schulen waren ja geschlossen. Natürlich ist es wichtig, dass die Kinder in die Schule gehen können. Aber die SUVs ihrer Mütter habe ich nicht vermisst.
Der Himmel war hoch und weit. Keine Kondensstreifen, die das Blau mit Gittermustern überzogen.
Es war stiller. Alles verlangsamte sich. Wenn auch die Bahnen weiter an meinem Fenster und am Haus vorbeidonnerten. Meistens fast leer.

Es ließ sich zudem eine Anglisierung der Gesellschaft in manchen Bereichen beobachten. Auch das ein durchaus positiver Nebeneffekt. Plötzlich können auch die Deutschen eine echte Schlange bilden, mit dem gebührenden Abstand, den man nicht erst seit Corona, sondern höflichkeitshalber von seinem Vordermann/seiner Vorderfrau einhalten sollte. Es geht, ich habe es das ganze Jahr lang beobachten können und neulich vor Weihnachten noch einmal im Extrem selbst erlebt. Menschen, denen sonst in kürzester Zeit jede Geduld abhanden kommt, standen manierlich vor der kleinen Post in meinem Stadtteil an. Ohne zu meckern, ohne zu hadern. In einer langen Schlange, die sich um die Straßenecke wand. Möglicherweise waren diese Menschen auch einfach froh, dass sie mal rauskamen, an die frische Luft. Unsere Radien haben sich ja, seit das Virus da ist, radikal verkleinert.
Wo wir auch schon beim nächsten positiven englischen Side-effect wären. Die Menschen sind häufiger draußen. Sie flanieren, sie diskutieren, yogieren, balancieren, chillen, picknicken und zelebrieren im Park. In England ist das Teil des kulturellen Erbes. Bei uns ist das vergleichsweise unüblich und seit diesem Jahr eben doch üblich.
Alles in allem ist das Leben der Menschen in den Industrieländern in diesen Monaten ein wenig privater, leiser, weniger prahlerisch geworden. Eine gewisse Demut ist selbst bei den größten Selbstdarstellern zu erkennen. Es gibt ja gerade nur wenig Möglichkeiten, sich selbst darzustellen, es fehlt das Publikum. Botox und Hyaloron verschwinden hinter Masken. Muskeln müssen daheim gestählt und präsentiert werden.
Den Rückzug ins Private finde ich nachgerade wohltuend. Instagram ist nicht mehr der Nabel der Welt. Das etwas Leisere, das sich gerade heute an Silvester so wunderbar dadurch ausdrückt, dass wir ohne Feuerwerk auskommen müssen. Sonst böllerte es ja schon meist ab Weihnachten und bis weit in den Neujahrstag hinein. Für Menschen, die sich aus Kriegsgebieten zu uns gerettet haben, stelle ich mir den dadurch entstandenen Rauch und Lärm traumatisierend vor.

Apropos Rücksicht: die vielbeschworene, ließ sich hier und da vielleicht auf der Metaebene entdecken. Aber nicht überzeugend. Die Kehrseite zeigte sich umso deutlicher. Vor allem zu Beginn der Pandemie, als Menschen Desinfektionsmittel aus Krankenhäusern stahlen, Masken und Desinfektionsmittel zu horrenden Preisen im Internet feilboten und wieder andere Toilettenpapier horteten, als bräche gerade der dritte Weltkrieg aus.
Auch im täglichen Miteinander gab es viele Menschen, die ihren Ego-Stiefel durchzogen, wie eh und je, die paarweise oder sogar familienweise in winzige Bioläden strömten und mehr Raum einnahmen, als es in diesen Zeiten opportun gewesen wäre.
Jogger oder Radler, die keinen Meter von einem entfernt, ausspucken oder herum rotzen, ohne Anstand. Was selbstverständlich auch schon vor dem Virus eine Rücksichtslosigkeit war, nun aber an Körperverletzung grenzt.
Autofahrer, die es wütender machte als sonst, dass Fahrräder eigentlich die besseren Verkehrsmittel in der Stadt sind, weil man einfach schneller vorankommt und leichter einparken kann und sich rächten, indem sie hautnah an einem vorbeifuhren, einem den Weg abschnitten oder über rote Ampeln rasten.

Vor allem aber wurde das Leiden der Anderen in diesem Jahr noch effektiver ausgeblendet. Derer die fliehen mussten, weil in ihren Ländern Krieg und Verfolgung herrschen.
Nach dem Motto: Man hat ja jetzt selbst eine Katastrophe zu bewältigen. Da sind Menschen, die mitten in Europa kein Dach über dem Kopf haben, die frieren und hoffnungslos sind. Wir haben offensichtlich vergessen, was Weihnachten wirklich bedeutet.
All das muss warten, bis wir das Virus besiegt haben
Dabei dürfte das eigentlich keine Entschuldigung sein.
Und gerade jetzt sollten wir uns auch der unmittelbarsten aller Katastrophen entgegenstellen – dem Klimawandel. Auch Corona ist schließlich nur ein Symptom unserer Umweltzerstörung. Zoonosen entstehen durch die Zerstörung von Ökosystemen. Und nie war es so einfach etwas dagegen zu tun. Die Lockdowns zeigen, dass es möglich ist.

Und nun ist also das stillste Silvester, das ich je erlebt habe. Möglicherweise haben wir uns auch das bei den Engländern abgeschaut, denn dort gehören fireworks an New Year’s Eve nicht dazu. Stattdessen schaut man sich lieber die Silvestershow auf BBC1 an und lässt es höchstens mit Sektkorken knallen. Der Sekt kommt auch schon mal aus Oxfordshire, denn dort ähnelt die Erde jener in der Champagne. Und der Sprudelwein muss sich hinter dem französischen Produkt nicht verstecken.
Dinner for one dagegen ist eine rein deutsche Erfindung. Mein englischer Freund hat Miss Sophie durch mich kennengelernt.

Wir sollten uns vielleicht auch weiterhin mehr auf das schöne Nahe, als auf die Ferne besinnen und Anderen mit mehr Rücksicht und Empathie begegnen. Vielleicht wird diese Welt dann im neuen Jahr endlich ein besserer Ort.

In diesem Sinne: Happy New Year! Für 2021 wünsche ich uns vor allem Gesundheit und mehr Menschlichkeit. Möge es ein wundervolles Jahr werden, in das wir alles Gute, das wir dieses Jahre an uns und unserer Gesellschaft entdeckt haben, hinüberretten. Das Schlechte lassen wir besser in diesem völlig verrückten 2020.

Ein Kommentar

  • Kirsten+von+Lom

    Dein Jahresrückblick gefällt mir sehr gut, liebe Katja. Die Stimmung des vergangenen Jahres finde ich sehr treffend beschrieben. Toller Text. Wünsche Dir ein gesundes und gutes 2021 mit viel Schönem

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